01.05.2024 – Maifeiertag in Helsinki

Letzter Tag in Helsinki – Zeit, Versäumtes Nachzuholen und die Besonderheiten des Tages in Finnland zu betrachten. Eins gleich vorweg: das Innere der Uspenski-Kathedrale wird mir ein Mysterium bleiben. Sonntags war Gottesdienst, Montag geschlossen, Dienstag war ich nicht da und heute, Mittwoch, ist Maifeiertag – geschlossen. Naja, hat nicht sollen sein.

Dafür habe ich das Innere der „Ikea“-Kathedrale zu Helsinki gesehen:

Dann habe ich einen Ausflug zur Bucht von Helsinki gemacht. Diese macht Helsinki zu einer Halbinsel, fügt sich aber eher als eine Art See ins Stadtbild ein.

Rund um die Bucht sind einige wichtige Gebäude versammelt:

Das Olympiastadion wurde für die Olympischen Spiele 1940 errichtet. Die fielen wegen Krieg aus, erst 1952 kam Helsinki dann zum Zug.
Auch dieser olympische Läufer trägt heute eine weiße Kappe. Warum, wird unten erklärt.
Hier die Oper, muss man ja haben. Ist aber nicht gerade Sydney.

Nun habe ich aber ein Faible dafür, die Schauplätze wichtiger historischer Ereignisse aufzusuchen, auch wenn die Orte selbst nicht arg spektakulär sind. So war ich schon am Haymarket in Chicago, Sekigahara in Japan und nun…

Die Finlandia-Halle in Helsinki!
Eigentlich nur eine Konzert-…
…und Kongresshalle aus den früher 1970er Jahren. Noch dazu aktuell geschlossen.

Warum war ich also hier? Dies war der Tagungsort der ursprünglichen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von 1973 und hier wurde auch die KSZE-Schlussakte 1975 unterzeichnet. Ein Höhepunkt der Détente-Politik im Kalten Krieg. Die KSZE-Schlussakte schrieb dann neben staatlicher Souveränität und Permanenz der Nachkriegsgrenzen aber auch wichtige Menschenrechte und Meinungsfreiheit fest. Das galt erst als reine Symbolpolitik, wurde dann aber von vielen Gruppen im Ostblock zur Gründung neuer Bürgerrechtsbewegungen genutzt, die viel zu den Wenden und Revolutionen 1989 beitrugen. Sog. Helsinki-Gruppen waren das, wie Charta ’77 in der damaliges CSSR, zu der auch Vaclav Havel gehörte. Man merke: auch das vermeintliche Geschwurbel in diplomatischen Übereinkünften kann manchmal unerwartete Auswirkungen haben.

Danach warf ich mich in den Trubel des 1. Mai. Und damit meine ich Trubel – die Finnen nehmen ihr Vappu, das „Fest des Frühlings, der Studenten und der Arbeiter“ sehr ernst. In Deutschland wird da halt angegrillt oder man nutzt einen günstig gelegenen 1. Mai für einen Kurzurlaub. In Finnland heißt der 1. Mai: Kappen auf und ab in den Park!

Jeder zweite trug heute eine Art weiße Kapitänsmütze, manchmal mit schwarzem Bommel. Das ist wohl eine Mütze, die man beim Schulabschluss bekommt, und am 1. Mai setzt man sie wieder auf! Akademiker ziehen oft zusätzlich ihren farbigen Overall (die Farbe hängt von der Fakultät ab) an mit den Aufnähern aller großen Parties, auf denen sie mal waren. Das ist kein Nischenphänomen, sondern absoluter Mainstream, wie ich selber sehen konnte.

Die Leute konnte man überall in der Stadt so sehen, aber die meisten zog es zum Kaivopuisto-Park westlich des Hafens. Nicht zu verfehlen, man folge einfach den Massen mit den weißen Kappen. Und da ist dann Kirmes:

Tatsächlich ähnelt das Ganze dem japanischen Kirschblütenfest Hanami, nur dass die Bäume weder Blüten noch Blätter haben. Aber wahrscheinlich ist nach sieben Monaten finnischem Winter der offizielle Beginn des Frühlings eine wichtige Sache!

Allerdings sind die Finnen nicht so ordentlich wie die Japaner. Dieser Müll lag woanders noch vom Vorabend rum.

Der 1. Mai ist allerdings auch nicht ganz unpolitisch. Ich sah diverse Stände von politischen Parteien und auch die ein oder andere Demo mit reichlich Palästina- und sogar Sowjet-Fahnen.

Zum Abschluss noch Food Porn:

Damit geht meine Zeit in Helsinki zu Ende, morgen geht es weiter mit der Fähre nach Tallinn, vormals Reval. Also von einer Stadt, wo vor dem 18., eigentlich 19. Jahrhundert nicht viel los war in eine Stadt, wo es schon im 13. Jahrhundert hoch her ging.

02.05.2024 – Fähre nach Tallinn

Heute bin ich dann mit der Fähre nach Tallinn gefahren, hat alles gut geklappt.

So sehen die Pötte aus.

Mir wurde gesagt, dass es sich bei diesem und dem anderen Schiff vom ersten Tag keinesfalls um Kreuzfahrtschiffe handelt, denn diese nehmen keine Autos auf. Das stimmt sicher, aber die Grenze ist fließend. Diese Fähre hat Kabinen, eine Showbühne, mehrere Restaurants und Bars, Karaoke, Spielautomaten, einen Spielplatz und ein Sonnendeck. Nur keinen Swimming Pool.

Und einen Duty Free Shop natürlich! Es gibt sogar eine Tour von Helsinki nach Tallinn, die gar nicht in Tallinn landet, sondern nur dem Alkoholkauf dient. Diese Variante habe ich glücklicherweise nicht erwischt.

Von der Fähre konnte ich dann auch noch einen Totale von meinem Hotel knipsen, das braune Gebäude in der Mitte. War mal eine Lagerhaus, bis Scandic in den 70er Jahren ein Hotel draus machte. Leider merkt man auch, dass die Konversion vor 50 Jahren stattfand, einiges ist nicht mehr ganz zeitgemäß.

Auf der Fähre habe ich es dann wie die Finnen und Esten gehalten und bin ins Restaurant. Das Brunch Buffet ist für finnische Verhältnisse mit €26 ungemein günstig, zumal Bier und Wein dabei sind.

Die Auswahl ist auch gar nicht schlecht.

Nach gut 2,5 Stunden Fahrt waren wir dann auch in Tallinn. Ich bin mit dem Bus weiter zu meiner Ferienwohnung. Dafür, das Estland als das Mekka der Digitalisierung gepriesen wird, war der Ticketkauf komplizierter als gedacht. Mit meinem Handy über Google Pay ging es jedenfalls nicht – ich habe letztlich online ein Ticket mit QR Code gekauft. In London ist man da weiter: Handy mit Google oder Apple Pay über die Schranke ziehen, Biep, fertig. Ich muss es hier nochmal mit einer normalen NFC-fähigen Kreditkarte ausprobieren.

Die Ferienwohnung ist jedenfalls topmodern und hat pfeilschnelles WLAN. Nur einen richtigen Schreibtisch vermisse ich, es gibt nur den kleinen Couchtisch und den Tresen mit den hohen Hockern.

Sightseeing betreibe ich heute keines mehr, ich habe vier Tage in und um Tallinn, da sollte ich Zeit für alles haben. Daher nur noch ein bisschen einkaufen und Wäsche waschen, ansonsten chillen. Morgen geht es dann in die Altstadt!

03.05.2024 – Altstadt von Tallinn

Die Esten haben es nicht einfach, historisch gesehen. Sie wurden über die Jahrhunderte von so ziemlich jeder Macht kolonisiert, erobert oder besetzt: Dänemark, der Schwertbrüderorden, die Hanse, Schweden, Russland, die Sowjetunion, Nazi-Deutschland und wieder die Sowjetunion bis zu aktuellen Unabhängigkeit 1991.

Und von 1458-1467 Drittes Zeitalter auch noch von Sauron und den Nazguls. Derer Grausamkeiten wird mit dieser Nazgul-Statue (Baujahr 2018) gedacht.

Aber im Ernst, ist halt ein wirklich kleines Land mit wenig Leuten (ca. 1,3 Millionen) an einer verkehrsgünstigen Stelle – da kann man nur schwer in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Mit EU und NATO ist Estland wahrscheinlich aktuell in der stärksten Position, in der es je war.

Umso erstaunlicher, dass Tallinn (kommt von „Dänenstadt“) eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Altstädte Europas hat, die völlig zu Recht UNESCO-Weltkulturerbe ist. Und für eine mittelalterliche Stadt ist diese Altstadt enorm groß, Tallinn alias Reval war lange Zeit eine extrem wichtige Handelsstadt. Eigentlich zwei Städte: auf dem höher gelegenen Domberg waren die Adeligen, Kreuzritter, etc. unterwegs, die Unterstadt wurde von der Hanse gegründet – das waren auch rechtlich ganz lange zwei unabhängige Kommunen, obwohl natürlich direkt nebeneinander gelegen.

Hier einfach mal Eindrücke mit gelegentlichen Kommentaren in der Bildunterschrift.

Die Altstadt ist wirklich beeindruckend, wobei nur wenige Gebäude wirklich aus dem Mittelalter (dann meist frühes 15. Jahrhundert) stammen. Aber es ist die Gesamtanlage, die den Eindruck macht, weitgehend von Mauer umgehen, verwinkelte Gassen, usw.

Die Führerin meine Walking Tour erzählte dann auch noch von dem sehr schwierigen Verhältnis der estnisch sprechenden Esten mit den russisch sprechenden Esten (und russisch sprechenden Russen), die 30% der Bevölkerung ausmachen (und in Tallinn 40%). Mit Integration ist da nicht viel, die Sprachbarriere wird nur höher, weil die jungen ethnischen Esten kein Russische mehr lernen und die ethnischen Russen kein estnisch. Eigentlich möchte die Regierung estnisch zur verpflichtenden Unterrichtssprache für alle machen, aber das scheitert schon am Mangel an Estnisch-Lehrern. Interessanterweise meinte die Führerin, dass die Ukraine-Invasion zu einer Annäherung der jungen Generationen führte, denn die jungen russischsprachigen Esten sind wohl auch gegen diesen Krieg, während viele ältere russischsprachige Esten (und Russen in Estland) sich eher zu Putin orientieren.

Hier noch ein bisschen Food Porn, diesmal war ich einem etwas anspruchsvolleren Restaurant, denn in Estland ist das deutlich bezahlbarer als in Finnland:

Morgen: Tagestour zum Nationalpark Lahemaa

05.05.2024 – Lahemaa-Nationalpark

Heute war ein Tagesausflug in den Lahemaa-Nationalpark angesagt, der östlich von Tallinn liegt. Dafür habe ich eine geführte Tagestour gebucht, denn ohne Auto kommt man da nicht gut hin und ohne Guide ist es ungleich aufwändiger, die interessanten Stellen abzuklappern. Wir waren dann auch nur sechs Leute inklusive Guide.

Der Nationalpark wurde noch zu Sowjetzeiten gegründet und war der erste Nationalpark in der Sowjetunion, wobei allerdings nur ein Teil des weitläufigen Geländes wirklich Nationalpark im Sinne von keine kommerzielle Nutzung ist. Es wohnen auch Leute dort und Teile des Geländes werden land- oder forstwirtschaftlich genutzt. Aber die tatsächlich Wildnis ist schon recht beeindruckend.

Auf dem Weg dahin kamen wir an Unmengen von Plattenbauten aus den 70er Jahren vorbei, wo ein Großteil des russischsprachigen Bevölkerung in einer Parallelgesellschaft lebt. Außerdem sahen wir Unmengen von Zugvögeln auf dem Weg nach Finnland und Skandinavien – leider hielten die nicht für Fotos aus dem Auto an. Ein Großteil des Wegen führte über die alte Autobahn nach St. Petersburg (nur 300km entfernt) wo es fast keinen Verkehr gab, da die Grenze weitgehend geschlossen ist (nur Fußgänger mit Visum kommen durch). Dafür hatte die Autobahn Linksausfahrten und Wendemöglichkeiten – günstig zu bauen, aber bei mehr Verkehr sicher arg gefährlich.

Auf dem Weg kamen wir auch bei diesen bronzezeitlichen Rundgräbern vorbei, die während des Autobahnbaus entdeckt wurden.

Die estnische Landschaft ist flach und von Wasser und Wald geprägt, hauptsächlich Birken und Kiefern. Erster Stopp war der Jägala-Wasserfall. Das muss man sich wie Niagara vorstellen, nur halt in Miniatur.

Der zweite und weitaus längste Stopp war dann eine Wanderung durch Sumpf und Moor entlang eines Pfads aus Holzplanken. Dabei sah man auch viele Seen, die durch den früher üblichen Abbau des Torfes aus dem Moor entstanden.

Aber wie gesagt gibt es nicht nur Wildnis. In der Region sind auch Herrenhäuser der alten Großgrundbesitzer (gerne deutscher Adel) erhalten, zum Teil mit Gärten:

Mittagessen haben wir in einer Cafeteria-Wirtschaft gegessen. Leider war das Ambiente besser als das Essen, das eher an eine Mensa in den 80er Jahren erinnerte. Ich konnte die Dame nicht davon abhalten, weiße Sauce über meine Pommes zu kippen…

Gegen Ende waren wir dann noch an der Küste, der Nationalpark umfasst mehrere Buchten und Kaps. Man sieht hier auch gut die Hinterlassenschaften der letzten Eiszeit in Form von großen bis riesigen Findlingen:

Zum Abendessen zurück in Tallinn genehmigte ich mir dann Spareribs, die sich in der Schweinefleisch-affinen Küche Estlands großer Beliebtheit erfreuen. Allerdings werden sie gerne mit einer Kirschsauce getoppt, was zumindest ungewohnt ist:

05.05.2024 – Kariorg und Telliskivi

Mein Weg führte mich zunächst nach Kariorg. Das ist ein Villen- / Botschaftsviertel östlich der Altstadt, vor allem aber ist da der Kariorg-Park. Hier hat sich Peter der Große seinerzeit einen Sommerpalast errichten lassen, der heute als Kunstmuseum genutzt wird. (Hier könnte man wieder einen „was haben die Russen je für uns getan?“ Witz einfügen).

Im letzten Bild sieht man den estnischen Präsidentenpalast, der während der ersten Unabhängigkeit 1938 fertig gestellt wurde. Schlechtes Timing, denn 1940 wurde Estland wieder von der Sowjetunion besetzt und der oberste Sowjet der estnischen Sowjetrepublik zog hier ein. Aber seit der zweiten Unabhängigkeit von 1991 dient er wieder dem eigentlichen Zweck.

Im Kariorgpark gibt es auch einen hübschen, wenngleich nicht spektakulären, japanischen Garten. Das wäre nun nicht unbedingt eine Reise wert, aber aktuell ist hier in Tallinn gerade Kirschblüte – im Norden halt deutlich später. Und ein japanischer Garten mit Hanami lohnt sich immer, selbst wenn der hiesige Garten nur acht Kirschbäume hat.

Zwischenzeitlich war ich noch am Strand.

Danach bin ich weiter nach Telliskivi, westlich der Altstadt hinter dem Bahnhof gelegen. Das war früher ein sowjetisches Fabrikgelände, das mittlerweile aber als Kreativzentrum genutzt wird mit Ausstellungen, Street Art, Lokalen, Co-Working Spaces und so weiter. Natürlich kein neues Konzept, passt aber gut zum neuen Estland, das ja großen Wert aus Start-Ups und Digitalisierung legt.

Übrigens funktioniert der Nahverkehr sehr gut mit einer NFC-fähigen Kreditkarte (nur eben nicht über Handy mit Google Pay). Einfach beim Einsteigen auf den Validator halten, der bucht einen Einzelfahrtschein. Und wenn man drei Einzelfahrtscheine am Tag bucht macht er automatisch eine günstigere Tageskarte draus – der eigentlich fällige Betrag wird dann erst in der Nacht abgebucht.

Nun aber Bilder aus Telliskivi:

Ganz in der Nähe ist dann noch ein kleines Viertel mit alten Holzhäusern, ursprünglich für die Fabrikarbeiter:

Zwischenzeitlich hatte ich drüber nachgedacht, morgen noch einen Tagesausflug nach Tartu zu machen (zweitgrößte Statdt Estlands mit alter Uni und derzeit Kulturhauptstadt Europas), die Idee habe ich aber wieder verworfen. Das wäre in Stress ausgeartet (2,5h mit dem Zug einfache Fahrt) und morgen ist Montag, da sind die relevanten Museen dort geschlossen.

06.05.2024 – Altstadt Tallinn

Heute bin ich nochmal zurück in die Altstadt. Das ist doch der spektakulärste Teil Tallinns und am Freitag habe ich zwar schon viel gesehen, bin aber eher von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gehastet (gerade in der Walking Tour) und hatte nicht so viel Zeit zum Erkunden. Das habe ich also heute nachgeholt und bin z.B. in den Türmen und Tunneln der Wehranlagen rumgekraxelt. Davon hier ein paar Eindrücke:

Ich habe mich dann noch eine Weile auf dem Domberg rumgetrieben und bin auch in den Dom rein:

Die Unterstadt hatte ich am Freitag schon intensiver gesehen. Vor allem war ich noch essen, und zwar im Mittelalter-Restaurant Olde Hanse. Stilvoll und lecker, allerdings nicht ganz billig.

Morgen geht es weiter nach Riga mit Flixbus. Bin mal gespannt.

07.05.2024 – Fahrt nach Riga

Heute war dann die Weiterreise nach Riga angesagt. In diesem Urlaub nutze ich eigentlich alle handelsüblichen Transportmittel: Flugzeug, Schiff, Bus, Auto. Heute was also der Bus angesagt: 4,5h mit dem Flixbus von Tallinn nach Riga.

Auf dem Weg nach Süden wandelte sich die Landschaft allmählich: weniger Birken, mehr Kiefern, aber genauso flach. Irgendwann gab es dann gar keine Birken mehr, sondern nur noch Kiefern.

Die Busfahrt war etwas abenteuerlich. Auf der ersten Hälfte mussten wir anhalten, weil es einer Passagierin nicht gut ging. Der Krankenwagen kam schnell, aber wir verloren dennoch 30 Minuten. Die holte der russischsprachige Busfahrer aber auf der zweiten Hälfte mit haarsträubenden Überholmanövern auf der einspurigen Schnellstraße beinahe wieder raus, so dass wir nur 10 Minuten verspätet ankamen. Wobei angeblich auf Lettlands Straßen das Prinzip „wer überholt, hat Vorfahrt“ gilt, zumindest in der Praxis. Manchmal kamen wir auch nicht mehr rechtzeitig zurück in die Spur, dann wurde die Straße mit eigentlich nur einer Spur pro Richtung plötzlich dreispurig. Das wäre mir alles deutlich egaler, wenn ich nicht ab morgen einen Mietwagen hätte und auch den ein oder anderen Ausflug und dann die lange Fahrt nach Litauen anstehen würde…

Riga ist die größte Stadt des Baltikums, was man schon beim Reinfahren sieht.

Heute keine Sightseeing mehr, ich habe nur eingekauft und meine Ferienwohnung bezogen:

Morgen hole ich dann in der Frühe mein Mietauto vom Flughafen und bringe es zum Stellplatz im Innenhof hinter der Ferienwohnung. Erst dann geht es lost mit Sightseeing.

08.05.2024 – Altstadt von Riga

Wer hätte gedacht, dass von all den verschiedenen Verkehrsmitteln meiner Reise sich der Mietwagen als das bisher ärgerlichste entpuppt? Gestern bin ich recht früh morgens zum Flughafen rausgefahren, um dort meinen Mietwagen, mit dem ich dann am Sonntag von Riga weiterfahre, abzuholen. Kurz nach 8.00 war ich da, der Hertz-Schalter aber zu, trotz klar angegebener Öffnungszeit 8.00 Uhr. Bei der angegebenen Telefonnummer ging niemand ran. Ein anderer Hertz-Angestellter, allerdings ein Fahrer, wartete auch. Ca. 9.15 Uhr kam dann der Hertz-Agent: er hatte verschlafen. (Witz über Generation Z bitte hier einfügen). Nun ja, das Ganze brachte mir €50 Nachlass auf meine Einwegmiete nach Vilnius, insofern war der „Stundenlohn“ ok.

Entsprechend kam ich erst später dazu, in die Altstadt von Riga aufzubrechen; die Walking Tour hatte ich in weiser Voraussicht erst für 15 Uhr gebucht.

Riga ist gleichzeitig beeindruckender als Tallinn, aber auch ganz anders. Wo in Tallinn die mittelalterlichen Strukturen und viele Gebäude enorm gut erhalten sind, findet man in Riga eine bunte Mischung aus (ganz wenig) Mittelalter, früher Neuzeit, Klassizismus, Jugendstil (allerdings in der Altstadt nur wenig) und verschiedenen brachialen Baustilen der Zwischenkriegs- und Sowjetzeit. Erstaunlicherweise fügt sich das zu einem interessanten und durchaus attraktiven Gesamteindruck zusammen – das UNESCO-Weltkulturerbe ist nicht unverdient.

Der bunte Mix hat viel mit Kriegen und Eroberungen zu tun, die Riga noch wilder trafen als Tallinn. Gegründet vom Schwertbrüderorden gab es schon im 13. Jahrhundert Konflikte mit der von deutschen Händlern dominierten (und später der Hanse zugehörigen) Stadtbevölkerung. Später folgten Eroberungen durch Polen, Schweden, Russland, Unabhängigkeit nach dem 1. Weltkrieg, Besetzung durch Sowjetunion, Nazideutschland, dann wieder Sowjetunion bis zur aktuellen Unabhängigkeit – meist involvierten diese Veränderungen viel Zerstörung. Aber durch die für den Handel ideale Lage wurde Riga immer wieder aufgebaut, mit entsprechenden Neuerungen.

Von den Ursprungstagen ist kaum noch etwas zu sehen:

Anders als in Helsinki und Tallinn ist hier schon alles grün und es ist Frühling – bis auf die Temperaturen, die eher bei 6-8 Grad waren, brrr.

Von den ursprünglichen Stadtmauern und Festungsanlagen ist wie gesagt wenig übrig:

Das Schloss von Riga war ursprünglich die zweite Ordensburg der Schwertbrüder (die im Deutschen Orden aufgingen). Die Stadtbewohner mussten es als Reparation für die Zerstörung der ersten Ordensburg bauen – vielleicht ist es deswegen ziemlich schmucklos.

Hier Bilder vom Dom (lutherisch) und vom Domplatz:

Weitere Eindrücke aus der Altstadt:

Das „Katzenhaus“ ist eins der wenigen Jugendstilgebäude in der Altstadt. Es geht die Legende um, dass die Katzen ursprünglich den Gildenhäusern den Hintern entgegenstrecken, angeblich als Schmähung durch einen Kaufmann, der nicht aufgenommen wurde. Stimmt aber nicht, das Katzenhaus ist aus den 1920ern, da waren die Gildenhäuser schon Konzerthallen.

Zu guter Letzt noch etwas Food Porn:

Als nächstes steht das Jugendstil-Viertel auf dem Programm.

09.05.2025 – Jugendstil in Riga

Heute war das Wetter nicht nur kalt, sondern zum ersten Mal seit Beginn der Reise auch ein wenig regnerisch. Sei’s drum, ich bin ja nicht zum Spaß hier!

Nordwestlich der Altstadt hat Riga ein kleines Viertel mit prächtigen Jugendstilbauten, die während des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts entstanden. Einer der Architekten war Michail Eisenstein, der Vater der gleichnamigen Regisseurs. Beide hatten ein Faible für das Monumentale: viele der Gebäude sind vom Typ „Jugendstil mit extrem viel Prunk und Brimborium“ – es gibt ja auch Jugendstil mit mehr Understatement.

Leider sind die Gebäude extrem schwierig zu fotografieren: ziemlich hoch und wegen der engen Straßen tut man sich schwer, ausreichend Abstand zu gewinnen. Die Fotos entstanden also mit dem Ultraweitwinkel meines Pixel 8 und wurden dann nachbearbeitet, um die extremen perspektivischen Verzerrung und stürzenden Linien auszugleichen. Es lohnt sich durchaus, mal in die Bilder reinzuzoomen (ein Klick aufs Bild lädt eine größere Version runter), denn der Witz beim Jugendstil sind ja die verspielten Details.

Danach war ich noch bei den Markthallen und den alten Haferspeichern, die zu Läden, Kulturraum und Räumlichkeiten für kleine Unternehmen aufgepeppt wurden.

Und zu guter Letzt noch ein Gebäude, dass ich schon beim Einfahren in die Stadt mit dem Bus sah. Man kommt sich vor wie bei Ghostbusters!

Der Himmel war nicht gar so dramatisch wie hier dargestellt, Adobe Lightroom hat ein wenig nachgeholfen. Man hofft förmlich, dass Torwächter und Schlüsselmeister nicht zusammenfinden, sonst kommen Zuul und womöglich Gozer frei! In Wirklichkeit ist es die lettische Akademie der Wissenschaften, aber was für Experimente betreiben die da eigentlich?!?

10.05.2024 – Gauja Nationalpark

Wetter kalt und regnerisch – wo geht es hin? Na klar, in die Natur! Wozu habe ich schließlich ein Mietauto? (Eigentlich für die Weiterreise nach Klaipeda und Vilnius, aber eine Woche kostete genau so viel wie drei Tage).

Der Gauja Nationalpark liegt östlich von Riga und stammt ganz ähnlich wie der Laheema Nationalpark in Estland aus den frühen 1970er Jahren, aus Sowjetzeiten also. Auch hier ist eindeutig Mischnutzung angesagt, es rangiert von Wildnis bis Besiedlung, ist also schon was anderes als die US-Nationalparks.

Ich war nur in der westlichen Region, der Park schlängelt sich entlang des Flusses Gauja weit nach Osten. Hier ein paar Eindrücke:

Ganz in der Nähe ist die Gutmannshöhle, die größte der Höhlen im Sandstein entlang der Gauja, wobei diese hier ein Stück weg ist vom aktuellen Ufer.

Ein bisschen weiter weg (10 Minuten mit dem Auto) findet man die Burg Treyden (Turaida). Diese wurde Anfang des 13. Jahrhunderts von Bischof Albert (dem aus Riga) angelegt und diente der Regierung und Verwaltung dieser Region östlich von Riga. Die Gebäude selbst stammen aber eher aus dem 16./17. Jahrhundert und sind zum Teil komplett restauriert. Vom Bergfried aus hat man eine schöne Aussicht, trotz Nebel und Dunst.

Nun hat Bischof Albrecht den Schwertbrüderorden zwar mitgegründet, sich aber alsbald mit ihm überworfen. Wenig überraschend hatten die Schwertbrüder dann auf der nächsten Anhöhe bei Siguldas eine Festung. Hier sind die Gemäuer durchaus aus dem 13. Jahrhundert, dafür ist es aber auch eine Ruine:

Danach bin ich wieder zurück nach Riga. Das Fahren ist recht anstrengend, vor allem in der Stadt gibt es eine Mischung aus viel Verkehr und heftigen Schlaglöchern, die wohl den harten Wintern geschuldet sind.

Morgen geht es voraussichtlich an den Strand!