16.05.2024 – Sowjetisches Vilnius

Heute habe ich noch eine Tour zum Thema Vilnius zu Sowjetzeiten gemacht – so etwas wird in vielen ehemaligen Ostblockstädten angeboten. Dabei sieht man nicht nur Brutalismus-Architektur und erfährt mehr darüber, wie die sowjetische Unterdrückung sich vor Ort auswirkte, sondern man kommt auch aus der Altstadt und den touristischen Gebieten raus.

Hier erst nochmal ein paar Ansichten, die nichts mit der Sowjetunion zu tun haben:

Hier nun aber die Highlights der Sowjet-Archtitektur:

Eine Erfahrung, die alle baltischen Staaten gemeinsam hatten, war die Deportation – bis zu 10% der Bevölkerung wurde zwischen 1944 und 1990 nach Sibirien verschleppt, hauptsächlich in der Stalinzeit.

Logischerweise ist man in den baltischen Staaten nicht auf sowjetische und russische Symbole erpicht. Die Marx und Lenin-Statuen sind schon seit Anfang der 1990er Jahre weg, aber so manches stand noch länger. Die Annexion der Krim 2014 und natürlich die Ukraine-Invasion 2022 führten aber noch zu weiteren Konsequenzen.

In Litauen ist das Problem mit der russischsprachigen Bevölkerung weniger ausgeprägt als in Lettland oder Estland. Hier sind es nur 5% russischsprachige Litauer, die alle (anders als in Estland und Lettland) eine Staatsbürgerschaft erhielten. Inzwischen ist der Prozentsatz zwar gestiegen, aber hauptsächlich durch Flüchtlinge aus Belarus und der Ukraine, die kaum der Nähe zu Moskau verdächtig sind.

So, jetzt noch etwas Food Porn:

Mittlerweile ist Freitag, am Abend geht mein Flug zurück nach München. Glücklicherweise kann ich bis Nachmittags in der Ferienwohnung bleiben, so dass alles ganz entspannt ist.

15.05.2024 – Vilnius

Ich war nochmal auf eigene Faust in und um die Altstadt von Vilnius unterwegs. Quasi direkt vor meinem Haus hat man Teile der alten Wehranlagen rekonstruiert:

Dann war ich nochmal in Užupis. Mein Vergleich zu Christiania war nicht so ganz gerechtfertigt: zwar ist es eine selbsterklärte autonome Republik, aber der Hippie- und Gegenkulturcharakter ist deutlich weniger ausgeprägt. Vor allem sieht es dort sehr viel normaler aus als in Christiania oder ähnliche Konstrukten in anderen Städten und am Fluss sehr lauschig.

Auf der anderen Seite vom Fluss gibt es ein sehr ruhiges und topmodernes Viertel, das definitiv post-1990 entstanden sein muss. Dort befindet sich auch der Paupio-Markt, ein sehr ansprechender Food Court:

Nächster Stopp war das Großfürstliches Schloss Vilnius, wo bis 1795 die Großherzöge residierten. Nach der Dritten Teilung Polens gab es keinen Staat Litauen mehr und das Schloss wurde im 19. Jahrhundert zerstört. In den 2000ern haben sie es wieder aufgebaut und ein historisches Museum draus gemacht.

Im Inneren haben sie unter anderem diverse historische Räumlichkeiten aus verschiedenen Jahrhunderten nachgestellt, mit passenden Möbeln, Kunst und Artefakten. Wie man sieht, ist es deutlich leerer als in echten historischen Schlössern, wie z.B. in Wien oder so.

Einen Aussichtsturm gibt es auch:

Nebenan ist die Kathedrale, die innen eher karg ausgestattet ist, und aus irgendwelche Gründen haben sie die Apostel asymmetrisch verteilt: 7 auf der einen und 5 auf der anderen Seite. Wem die Aufteilung mit separatem Glockenturm irgendwie italienisch vorkommt liegt nicht falsch: Die Herzogin von Milan, Bona Sforza, war im 16. Jahrhundert auch durch Heirat Großherzogin von Litauen und Königin von Polen und brachte einiges aus Italien mit (der klassizistische Look der Kathedrale kam später).

Danach war bin ich noch ein bisschen durch die Gassen geschlendert.

14.05.2024 – Altstadt Vilnius

Wie auch die Altstädte von Tallinn und Riga gehört die Altstadt von Vilnius zum UNESCO-Weltkulturerbe. Auch hier haben die Wurzeln mit den Kreuzzügen des Mittelalters zu tun, allerdings haben weder die Schwertbrüder noch der deutsche Orden die Stadt gegründet. Vielmehr organisierten sich die Litauer unter Mindaugas gegen die Invasoren und konnten dadurch einen eigenen Staat, das Großherzogtum Litauen, etablieren, der im Spätmittelalter ziemlich mächtig wurde und große Teile von Polen und der Ukraine umfasste. Vilnius selbst wird 1323 erstmal urkundlich erwähnt. Anders als in den beiden anderen baltischen Staaten fasste die Reformation hier keinen Fuß und Litauen blieb katholisch, was sich in der großen Anzahl von katholischen Kirchen in der Stadt (oft Kirchen ehemaliger Klöster) widerspiegelt. Letztlich ist der dominante architektonische Stil in der Altstadt der Barock.

Die Universität von Vilnius ist auch ziemlich alt: 1579 von den Jesuiten gegründet. Die Gebäude bilden mehrere Innenhöfe, von denen der größte leider durch eine Baustelle verschandelt ist.

Überhaupt hat Vilnius Unmengen von Gassen, aber auch von Innenhöfen, in die man meisten auch reingehen kann, wobei immer mehr für die Öffentlichkeit geschlossen werden.

Vilnius hat mit dem Stadtviertel Užupis auch eine Art von Christiania, also eine nicht ganz ernst gemeinte alternative „Republik“:

Es gibt aber auch andere Baustile in Vilnius:

Und insbesondere Konditoreien tendieren zu aufwändigen Verzierungen:

Langsam neigt sich der Urlaub dem Ende zu und mir geht so ein bisschen die Luft für intensives Sightseeing aus. Heute werde ich wohl nur mit dem Handy bewaffnet mal ein paar Ecken abklappern, die ich noch nicht gesehen habe.

13.05.2024 – Kurische Nehrung

Heute nun also der Ausflug in die Kurische Nehrung. Das ist eine schmale Halbinsel, die im Süden nahe Kaliningrad/Königsberg mit dem Festland verbunden ist und im Norden bei Klaipeda endet. Rüber kommt man mit der Fähre (Fahrzeit 5 Minuten), eine Rundreise ganz nach ist derzeit wegen der russischen Grenze nicht praktikabel oder empfehlenswert. Also mit der Fähre rüber, mit dem Auto bis kurz vor die russische Grenze und dann wieder zurück.

Kurz vor der russischen Grenze befindet sich das Dorf Nidden, wo Anfang der 1930er Thomas Mann seine Sommer verbrachte.

Aber auch sonst gibt es da viele nette Häuschen:

Näher als Nidden werde ich in meinem Leben wohl nicht an Kaliningrad rankommen…

Nach einem halben Tag auf der Nehrung war dann die Rückfahrt zur Fähre und dann 330km Autofahrt nach Vilnius angesagt. Dabei war klar zu sehen: Litauen ist zwar der bevölkerungsreichste baltische Staat, aber dicht besiedelt ist es auch nicht. Hatte was vom Mittleren Westen in den USA…

Mittlerweile bin ich im letzten Quartier meiner Reise in Vilnius. Das ist tatsächlich die geräumigste Ferienwohnung, die ich auf der Reise hatte.

Morgen ist dann Vilnius dran.

12.05.2024 – Klaipėda

Heute gibt es nicht viel zu berichten. Ich habe Riga verlassen und bin mit dem Mietwagen weiter nach Klaipėda in Litauen gefahren, von wo aus ich morgen die kurische Nehrung heimsuchen will.

Klaipėda hat, wie alles im Baltikum, eine bewegte Geschichte. Die Stadt wurde unter dem Namen Memel von Kreuzrittern gegründet, wobei der Fluss Memel (ja, der aus der ersten Strophe des Deutschlandlieds) ein gutes Stück südlich ist. Anders als in Estland und Lettland haben sich die Einheimischen in Litauen aber deutlich besser organisiert und größere Eroberungen verhindert. Litauen (lange Zeit in königlicher Personalunion mit Polen) war im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit eine Großmacht, überstand allerdings die Teilungen Polens im 18. Jahrhundert nicht.

Das Memelland, und damit auch Klaipėda, wurde dann (im Falle von Klaipėda mit kurzem Umweg über Schweden) Teil von Preußen und blieb das auch bis zum Ende des 1. Weltkriegs. Dann übernahm kurzzeitig Frankreich(!) die Verwaltung; 1923 wurde Klaipėda dann vom in der Zwischenkriegszeit unabhängigen Lettland annektiert bis Hitler 1939 den Litauern Klaipėda wieder abpresste. Der Rest ist bekannt: Hitler-Stalin-Pakt, Zweiter Weltkrieg, Sowjetrepublik bis 1991.

Als Reiseziel ist Klaipėda jetzt nicht der Brüller, aber hier legen nun mal die Fähren in den litauischen Teil der kurischen Nehrung ab. Eine ganz nette Altstadt gibt es auch, die aber in zwei Stunden mit Einkehr locker zu erkunden. Immerhin war das Wetter herrlich!

Hier noch etwas Food Porn:

10.05.2024 – Jurmala und Kemeri

Heute war es zwar immer noch kalt, aber immerhin wieder sonnig. Vamos a la playa! Jurmala heißt (wenn ich das richtig verstanden habe) buchstäblich Strand und wurde aus den verschiedenen kleineren Orten direkt am Meer nahe bei Riga zusammengefasst. Während des Sowjetzeit war dies ein beliebtes Seebad, wo Krushchev und Consorten ihren Urlaub verbrachten – an die Cote d’Azur haben sie sich ja meist nicht getraut.

Logischerweise war noch nicht viel los, an Schwimmen im Meer ist ohne Neopren nicht zu denken, zumal es auch noch recht windig war.

Zweites Ziel war der Nationalpark Kemeri, der nur 20 Autominuten entfernt ist. Ähnlich wie Lahemaa eine Mischung aus Wald und Moor, zumindest der Teil, den ich gesehen habe.

Morgen geht es weiter nach Klaipeda (ehemals Memel), den Zugang zur kurischen Nehrung.

10.05.2024 – Gauja Nationalpark

Wetter kalt und regnerisch – wo geht es hin? Na klar, in die Natur! Wozu habe ich schließlich ein Mietauto? (Eigentlich für die Weiterreise nach Klaipeda und Vilnius, aber eine Woche kostete genau so viel wie drei Tage).

Der Gauja Nationalpark liegt östlich von Riga und stammt ganz ähnlich wie der Laheema Nationalpark in Estland aus den frühen 1970er Jahren, aus Sowjetzeiten also. Auch hier ist eindeutig Mischnutzung angesagt, es rangiert von Wildnis bis Besiedlung, ist also schon was anderes als die US-Nationalparks.

Ich war nur in der westlichen Region, der Park schlängelt sich entlang des Flusses Gauja weit nach Osten. Hier ein paar Eindrücke:

Ganz in der Nähe ist die Gutmannshöhle, die größte der Höhlen im Sandstein entlang der Gauja, wobei diese hier ein Stück weg ist vom aktuellen Ufer.

Ein bisschen weiter weg (10 Minuten mit dem Auto) findet man die Burg Treyden (Turaida). Diese wurde Anfang des 13. Jahrhunderts von Bischof Albert (dem aus Riga) angelegt und diente der Regierung und Verwaltung dieser Region östlich von Riga. Die Gebäude selbst stammen aber eher aus dem 16./17. Jahrhundert und sind zum Teil komplett restauriert. Vom Bergfried aus hat man eine schöne Aussicht, trotz Nebel und Dunst.

Nun hat Bischof Albrecht den Schwertbrüderorden zwar mitgegründet, sich aber alsbald mit ihm überworfen. Wenig überraschend hatten die Schwertbrüder dann auf der nächsten Anhöhe bei Siguldas eine Festung. Hier sind die Gemäuer durchaus aus dem 13. Jahrhundert, dafür ist es aber auch eine Ruine:

Danach bin ich wieder zurück nach Riga. Das Fahren ist recht anstrengend, vor allem in der Stadt gibt es eine Mischung aus viel Verkehr und heftigen Schlaglöchern, die wohl den harten Wintern geschuldet sind.

Morgen geht es voraussichtlich an den Strand!

09.05.2025 – Jugendstil in Riga

Heute war das Wetter nicht nur kalt, sondern zum ersten Mal seit Beginn der Reise auch ein wenig regnerisch. Sei’s drum, ich bin ja nicht zum Spaß hier!

Nordwestlich der Altstadt hat Riga ein kleines Viertel mit prächtigen Jugendstilbauten, die während des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts entstanden. Einer der Architekten war Michail Eisenstein, der Vater der gleichnamigen Regisseurs. Beide hatten ein Faible für das Monumentale: viele der Gebäude sind vom Typ „Jugendstil mit extrem viel Prunk und Brimborium“ – es gibt ja auch Jugendstil mit mehr Understatement.

Leider sind die Gebäude extrem schwierig zu fotografieren: ziemlich hoch und wegen der engen Straßen tut man sich schwer, ausreichend Abstand zu gewinnen. Die Fotos entstanden also mit dem Ultraweitwinkel meines Pixel 8 und wurden dann nachbearbeitet, um die extremen perspektivischen Verzerrung und stürzenden Linien auszugleichen. Es lohnt sich durchaus, mal in die Bilder reinzuzoomen (ein Klick aufs Bild lädt eine größere Version runter), denn der Witz beim Jugendstil sind ja die verspielten Details.

Danach war ich noch bei den Markthallen und den alten Haferspeichern, die zu Läden, Kulturraum und Räumlichkeiten für kleine Unternehmen aufgepeppt wurden.

Und zu guter Letzt noch ein Gebäude, dass ich schon beim Einfahren in die Stadt mit dem Bus sah. Man kommt sich vor wie bei Ghostbusters!

Der Himmel war nicht gar so dramatisch wie hier dargestellt, Adobe Lightroom hat ein wenig nachgeholfen. Man hofft förmlich, dass Torwächter und Schlüsselmeister nicht zusammenfinden, sonst kommen Zuul und womöglich Gozer frei! In Wirklichkeit ist es die lettische Akademie der Wissenschaften, aber was für Experimente betreiben die da eigentlich?!?

08.05.2024 – Altstadt von Riga

Wer hätte gedacht, dass von all den verschiedenen Verkehrsmitteln meiner Reise sich der Mietwagen als das bisher ärgerlichste entpuppt? Gestern bin ich recht früh morgens zum Flughafen rausgefahren, um dort meinen Mietwagen, mit dem ich dann am Sonntag von Riga weiterfahre, abzuholen. Kurz nach 8.00 war ich da, der Hertz-Schalter aber zu, trotz klar angegebener Öffnungszeit 8.00 Uhr. Bei der angegebenen Telefonnummer ging niemand ran. Ein anderer Hertz-Angestellter, allerdings ein Fahrer, wartete auch. Ca. 9.15 Uhr kam dann der Hertz-Agent: er hatte verschlafen. (Witz über Generation Z bitte hier einfügen). Nun ja, das Ganze brachte mir €50 Nachlass auf meine Einwegmiete nach Vilnius, insofern war der „Stundenlohn“ ok.

Entsprechend kam ich erst später dazu, in die Altstadt von Riga aufzubrechen; die Walking Tour hatte ich in weiser Voraussicht erst für 15 Uhr gebucht.

Riga ist gleichzeitig beeindruckender als Tallinn, aber auch ganz anders. Wo in Tallinn die mittelalterlichen Strukturen und viele Gebäude enorm gut erhalten sind, findet man in Riga eine bunte Mischung aus (ganz wenig) Mittelalter, früher Neuzeit, Klassizismus, Jugendstil (allerdings in der Altstadt nur wenig) und verschiedenen brachialen Baustilen der Zwischenkriegs- und Sowjetzeit. Erstaunlicherweise fügt sich das zu einem interessanten und durchaus attraktiven Gesamteindruck zusammen – das UNESCO-Weltkulturerbe ist nicht unverdient.

Der bunte Mix hat viel mit Kriegen und Eroberungen zu tun, die Riga noch wilder trafen als Tallinn. Gegründet vom Schwertbrüderorden gab es schon im 13. Jahrhundert Konflikte mit der von deutschen Händlern dominierten (und später der Hanse zugehörigen) Stadtbevölkerung. Später folgten Eroberungen durch Polen, Schweden, Russland, Unabhängigkeit nach dem 1. Weltkrieg, Besetzung durch Sowjetunion, Nazideutschland, dann wieder Sowjetunion bis zur aktuellen Unabhängigkeit – meist involvierten diese Veränderungen viel Zerstörung. Aber durch die für den Handel ideale Lage wurde Riga immer wieder aufgebaut, mit entsprechenden Neuerungen.

Von den Ursprungstagen ist kaum noch etwas zu sehen:

Anders als in Helsinki und Tallinn ist hier schon alles grün und es ist Frühling – bis auf die Temperaturen, die eher bei 6-8 Grad waren, brrr.

Von den ursprünglichen Stadtmauern und Festungsanlagen ist wie gesagt wenig übrig:

Das Schloss von Riga war ursprünglich die zweite Ordensburg der Schwertbrüder (die im Deutschen Orden aufgingen). Die Stadtbewohner mussten es als Reparation für die Zerstörung der ersten Ordensburg bauen – vielleicht ist es deswegen ziemlich schmucklos.

Hier Bilder vom Dom (lutherisch) und vom Domplatz:

Weitere Eindrücke aus der Altstadt:

Das „Katzenhaus“ ist eins der wenigen Jugendstilgebäude in der Altstadt. Es geht die Legende um, dass die Katzen ursprünglich den Gildenhäusern den Hintern entgegenstrecken, angeblich als Schmähung durch einen Kaufmann, der nicht aufgenommen wurde. Stimmt aber nicht, das Katzenhaus ist aus den 1920ern, da waren die Gildenhäuser schon Konzerthallen.

Zu guter Letzt noch etwas Food Porn:

Als nächstes steht das Jugendstil-Viertel auf dem Programm.