Heute war dann tatsächlich das südliche Manhattan, also der älteste Teil der Stadt, an der Reihe. Wobei „älteste“ sich nur darauf bezieht, dass hier schon die Holländer siedelten, als New York noch New Amsterdam war. Es bedeutet nicht, dass die Gebäude besonders alt wären. Denn tatsächlich sind viele Viertel einem enormen und rapiden Wandel unterworfen.
Das Ganze habe ich wieder per Walking Tour gemacht, diesmal ein knapp siebenstündiges Ganztagesprogramm (mit Pausen und U-Bahnfahrten). Diese Touren sind für mich der beste Weg, eine Stadt kennen zu lernen, denn die Guides sind in Sachen Lokalgeschichte und schlicht Ortskenntnis immer viel besser als ein Reiseführer. Und die große Einordnung in die Geschichte – wo die Guides tendenziell eher schwächeln – kann ich selber vornehmen, schließlich bin ich vom Fach 🙂
Nun zum Wandel. Nehmen wir die Wall Street. Da ist die Börse, richtig? Ist sie, aber das Börsenparkett ist für den heutigen Aktienhandeln nahezu irrelevant. Und die Banken? Sind zum großen Teil umgezogen. D.h. der sog. „Financial District“ hat nicht mehr viel mit der Finanzbranche zu tun – statt dessen wird es zu einer (sauteuren) Wohngegend! Das heißt, die historische Funktion dieses südlichsten Teils von Manhattan dient heute eher dazu, als Flair für Luxusapartments zu dienen. Aber das Flair ist schon nicht ohne.
Danach ging es weiter zum World Trade Center. Als ich 2003 das letzte Mal in New York war, war da noch ein Bauloch. Das hat sich gründlich geändert.
Vom World Trade Center ging es weiter nach Chelsea bzw. den Meatpacking District. Das war bis in die 90er eine der übelsten Ecken von New York: Nachtclubs, heftigste Drogenkriminalität, heruntergekommen Dockanlagen, rostende und stillgelegte Hochbahngleise, usw. Heute? Boomt alles und es ist teuer.
Nächste Station war Greenwich Village (das im Westen, nicht das East Village). Das war ganz früher ein Reichenviertel, dann ein Irenviertel, ein Schwarzenviertel und ein Szeneviertel. Jetzt ist es wieder reich.
Weiter ging es nach SoHo (South of Houston Street), einst dem wichtigsten Einkaufsviertel der Stadt, wo die tollsten Kaufhäuser entstanden. Mit dem Niedergang des Einzelhandels erfindet sich auch dieser Stadtteil neu: es gibt immer noch schicke Läden wie den Nike Store, aber das sind eher glorifizierte Schaufenster, wo Kunden Produkte ausprobieren und sich (und die Firma) damit auf Instagram produzieren können. Verkauft wird die „experience“, nicht das Produkt, die Läden dienen also der Werbung, nicht dem Umsatz.
Die letzte Station des Marsches war Little Italy. Auch hier gab es gewaltigen Wandel, denn Little Italy gibt es quasi nicht mehr. Die Italiener sind weitgehend nach New Jersey umgezogen und die restlichen Restaurants werden immer weniger.
Aber den alten Widersachern der Italiener bzw. der Mafia, dem NYPD, erging es auch nicht besser.
Nun kann man den Verlust des historischen New York beweinen. Aber die meisten New Yorker wollen wohl kaum in die Ära von Crack und Gangs der 1980er und 1990er zurück und auch nicht zur Korruption des späten 19., frühen 20. Jahrhunderts. Und die geläufigen Bilder der Stadtviertel (Financial District, Meatpacking District, Little Italy, etc.) waren ja auch immer nur historisch bedingt und ersetzten zu ihrer Zeit wiederum andere, frühere Nutzungen derselben Gegend.
Wer weiß schon, was nach einigen Jahrzehnten Luxusapartments und Hightech-Investoren kommt? Von schöner neuer Welt bis Zombieapokalypse ist alles denkbar.