Heute war dann die Weiterreise nach Riga angesagt. In diesem Urlaub nutze ich eigentlich alle handelsüblichen Transportmittel: Flugzeug, Schiff, Bus, Auto. Heute was also der Bus angesagt: 4,5h mit dem Flixbus von Tallinn nach Riga.
Start am Busbahnhof in Tallinn.Enttäuschung: der Flixbus war war gar nicht grün und auch nicht gerade modern.
Auf dem Weg nach Süden wandelte sich die Landschaft allmählich: weniger Birken, mehr Kiefern, aber genauso flach. Irgendwann gab es dann gar keine Birken mehr, sondern nur noch Kiefern.
In Lettland gab es dann auch erheblich mehr Landwirtschaft.Eigentlich hatte ich auf eine Fahrt mit Meerblick gehofft. Der Meerbusen von Riga was auch immer ganz nah, aber der Blick weitgehend von Bäumen verstellt.
Die Busfahrt war etwas abenteuerlich. Auf der ersten Hälfte mussten wir anhalten, weil es einer Passagierin nicht gut ging. Der Krankenwagen kam schnell, aber wir verloren dennoch 30 Minuten. Die holte der russischsprachige Busfahrer aber auf der zweiten Hälfte mit haarsträubenden Überholmanövern auf der einspurigen Schnellstraße beinahe wieder raus, so dass wir nur 10 Minuten verspätet ankamen. Wobei angeblich auf Lettlands Straßen das Prinzip „wer überholt, hat Vorfahrt“ gilt, zumindest in der Praxis. Manchmal kamen wir auch nicht mehr rechtzeitig zurück in die Spur, dann wurde die Straße mit eigentlich nur einer Spur pro Richtung plötzlich dreispurig. Das wäre mir alles deutlich egaler, wenn ich nicht ab morgen einen Mietwagen hätte und auch den ein oder anderen Ausflug und dann die lange Fahrt nach Litauen anstehen würde…
Riga ist die größte Stadt des Baltikums, was man schon beim Reinfahren sieht.
Wie alle ex-sowjetischen Städte hat sie große Plattenbauten in den Außenbezirken.Aber das macht nichts: deutsche Discounter bringen die Zivilisation.Gegenüber vom Busbahnhof sieht man den Großmarkt.Und am Busbahnhof gibt es die neuesten Errungenschaften aus Italien!
Heute keine Sightseeing mehr, ich habe nur eingekauft und meine Ferienwohnung bezogen:
Weniger modern, aber sehr geräumig, gut ausgestattet und fast schon vornehm.
Morgen hole ich dann in der Frühe mein Mietauto vom Flughafen und bringe es zum Stellplatz im Innenhof hinter der Ferienwohnung. Erst dann geht es lost mit Sightseeing.
Wer hätte gedacht, dass von all den verschiedenen Verkehrsmitteln meiner Reise sich der Mietwagen als das bisher ärgerlichste entpuppt? Gestern bin ich recht früh morgens zum Flughafen rausgefahren, um dort meinen Mietwagen, mit dem ich dann am Sonntag von Riga weiterfahre, abzuholen. Kurz nach 8.00 war ich da, der Hertz-Schalter aber zu, trotz klar angegebener Öffnungszeit 8.00 Uhr. Bei der angegebenen Telefonnummer ging niemand ran. Ein anderer Hertz-Angestellter, allerdings ein Fahrer, wartete auch. Ca. 9.15 Uhr kam dann der Hertz-Agent: er hatte verschlafen. (Witz über Generation Z bitte hier einfügen). Nun ja, das Ganze brachte mir €50 Nachlass auf meine Einwegmiete nach Vilnius, insofern war der „Stundenlohn“ ok.
Entsprechend kam ich erst später dazu, in die Altstadt von Riga aufzubrechen; die Walking Tour hatte ich in weiser Voraussicht erst für 15 Uhr gebucht.
Riga ist gleichzeitig beeindruckender als Tallinn, aber auch ganz anders. Wo in Tallinn die mittelalterlichen Strukturen und viele Gebäude enorm gut erhalten sind, findet man in Riga eine bunte Mischung aus (ganz wenig) Mittelalter, früher Neuzeit, Klassizismus, Jugendstil (allerdings in der Altstadt nur wenig) und verschiedenen brachialen Baustilen der Zwischenkriegs- und Sowjetzeit. Erstaunlicherweise fügt sich das zu einem interessanten und durchaus attraktiven Gesamteindruck zusammen – das UNESCO-Weltkulturerbe ist nicht unverdient.
Der bunte Mix hat viel mit Kriegen und Eroberungen zu tun, die Riga noch wilder trafen als Tallinn. Gegründet vom Schwertbrüderorden gab es schon im 13. Jahrhundert Konflikte mit der von deutschen Händlern dominierten (und später der Hanse zugehörigen) Stadtbevölkerung. Später folgten Eroberungen durch Polen, Schweden, Russland, Unabhängigkeit nach dem 1. Weltkrieg, Besetzung durch Sowjetunion, Nazideutschland, dann wieder Sowjetunion bis zur aktuellen Unabhängigkeit – meist involvierten diese Veränderungen viel Zerstörung. Aber durch die für den Handel ideale Lage wurde Riga immer wieder aufgebaut, mit entsprechenden Neuerungen.
Von den Ursprungstagen ist kaum noch etwas zu sehen:
Von der ursprünglichen Ordensburg der Schwertbrüder ist nur noch dieses schon lange umfunktionierte Kirchengebäude übrig.Die Ordensburg stand auf dem Gelände des heutigen Konventhofes.Eins der ersten Altstadtviertel, die wieder aufgehübscht wurden.Aber was für Hexenwerk siedelt sich da an? Wenn das die Kreuzritter wüssten!Direkt nebenan stand die Kirche des Stadtgründers Bischof Albert. Das aktuelle Gebäude ist natürlich viel neuer.
Anders als in Helsinki und Tallinn ist hier schon alles grün und es ist Frühling – bis auf die Temperaturen, die eher bei 6-8 Grad waren, brrr.
Einen Tick nördlich von der Altstadt steht dieses Freiheitsdenkmal.Die alten Wehranlagen wurden weitgehend schon im 19. Jahrhundert abgebaut und durch einen Kanal mit Park ersetzt.Blick von der Altstadt nach NordenDiese Laima-Uhr ist sowas wie der Hachiko von Riga, ein beliebter Treffpunkt.Ganz in der Nähe die Staatsoper mit Nymphenbrunnen.In Lettland sind offensichtlich E-Bikes mit Gashebel aber ohne Helmpflicht erlaubt, die Pedale bei diesen Mietmofas sind eher pro forma.
Von den ursprünglichen Stadtmauern und Festungsanlagen ist wie gesagt wenig übrig:
Der Pulverturm ist noch Original……nicht aber dieser Abschnitt der „Stadtmauer“.Die gelben Häuser waren mal Kasernen.Das sog. Schwedentor ist echt, ebenso die Kanonen.Hier von der anderen Seite.
Das Schloss von Riga war ursprünglich die zweite Ordensburg der Schwertbrüder (die im Deutschen Orden aufgingen). Die Stadtbewohner mussten es als Reparation für die Zerstörung der ersten Ordensburg bauen – vielleicht ist es deswegen ziemlich schmucklos.
Vor allem im Vergleich zur Nationalbank gegenüber.Aber gut, auch das Schloss hat was……zumal es der Amtssitz des Präsidenten ist.Man beachte die Flaggen von rechts nach links: Lettland, Ukraine, Europäische Union, NATO. Klare politische Aussage.Der Wachsoldat ist allerdings eine Plastikpuppe. (Ein echter war auch da, er stand nur nicht rum).Unweit vom Palast das Parlament. Da war wohl jemand mal in der Toskana…
Hier Bilder vom Dom (lutherisch) und vom Domplatz:
Man beachte die prächtige Orgel.Diese Betonmäuerchen sind kein Mahnmal, sondern ein Spielplatz.Direkt gegenüber ein Brachialbau der 1930er Jahre, als das zwischenzeitlich unabhängige Lettland nicht gerade eine lupenreine Demokratie war.Die alte Börse.
Weitere Eindrücke aus der Altstadt:
Der Livenplatz entstand aus einer Bauschneise nach der Bombardierung 1944.Die Große Gilde (Kaufleute) ist heute eine Konzerthalle.Die Kleine Gilde (alle anderen) ein Kulturzentrum. Die Stadtmusikanten sind ein Geschenk aus Bremen, alte Hansepartner.Das Schwarzhäupterhaus wurde erst 1999 wieder errichtet (das in Tallinn ist Original).Auch das Rathaus wurde erst in den 1990ern wieder aufgebaut.Das Lettische Okkupationsmuseum dürfte ziemlich deprimierend sein. Das Gebäude war ursprünglich ein sowjetisches Museum der „Roten Lettischen Schützen“.Die sog. „Drei Brüder“ haben alle ganz unterschiedliche Baustile (und sind sauschwer zu fotografieren).
Das „Katzenhaus“ ist eins der wenigen Jugendstilgebäude in der Altstadt. Es geht die Legende um, dass die Katzen ursprünglich den Gildenhäusern den Hintern entgegenstrecken, angeblich als Schmähung durch einen Kaufmann, der nicht aufgenommen wurde. Stimmt aber nicht, das Katzenhaus ist aus den 1920ern, da waren die Gildenhäuser schon Konzerthallen.
Zu guter Letzt noch etwas Food Porn:
Eingelegte Leckereien als Zwischenmahlzeit.Gefüllter Pfannkuchen, Krautwickel mit Buchweizen, Soljanka-Suppe.Eingenommen im Lido, so einer Art Cafeteria mit traditionellen Gerichten.
Als nächstes steht das Jugendstil-Viertel auf dem Programm.
Heute war das Wetter nicht nur kalt, sondern zum ersten Mal seit Beginn der Reise auch ein wenig regnerisch. Sei’s drum, ich bin ja nicht zum Spaß hier!
Nordwestlich der Altstadt hat Riga ein kleines Viertel mit prächtigen Jugendstilbauten, die während des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts entstanden. Einer der Architekten war Michail Eisenstein, der Vater der gleichnamigen Regisseurs. Beide hatten ein Faible für das Monumentale: viele der Gebäude sind vom Typ „Jugendstil mit extrem viel Prunk und Brimborium“ – es gibt ja auch Jugendstil mit mehr Understatement.
Leider sind die Gebäude extrem schwierig zu fotografieren: ziemlich hoch und wegen der engen Straßen tut man sich schwer, ausreichend Abstand zu gewinnen. Die Fotos entstanden also mit dem Ultraweitwinkel meines Pixel 8 und wurden dann nachbearbeitet, um die extremen perspektivischen Verzerrung und stürzenden Linien auszugleichen. Es lohnt sich durchaus, mal in die Bilder reinzuzoomen (ein Klick aufs Bild lädt eine größere Version runter), denn der Witz beim Jugendstil sind ja die verspielten Details.
Danach war ich noch bei den Markthallen und den alten Haferspeichern, die zu Läden, Kulturraum und Räumlichkeiten für kleine Unternehmen aufgepeppt wurden.
Teigtaschen mit Schweinefleischfüllung und Saurer Sahne
Und zu guter Letzt noch ein Gebäude, dass ich schon beim Einfahren in die Stadt mit dem Bus sah. Man kommt sich vor wie bei Ghostbusters!
Der Himmel war nicht gar so dramatisch wie hier dargestellt, Adobe Lightroom hat ein wenig nachgeholfen. Man hofft förmlich, dass Torwächter und Schlüsselmeister nicht zusammenfinden, sonst kommen Zuul und womöglich Gozer frei! In Wirklichkeit ist es die lettische Akademie der Wissenschaften, aber was für Experimente betreiben die da eigentlich?!?
Wetter kalt und regnerisch – wo geht es hin? Na klar, in die Natur! Wozu habe ich schließlich ein Mietauto? (Eigentlich für die Weiterreise nach Klaipeda und Vilnius, aber eine Woche kostete genau so viel wie drei Tage).
Der Gauja Nationalpark liegt östlich von Riga und stammt ganz ähnlich wie der Laheema Nationalpark in Estland aus den frühen 1970er Jahren, aus Sowjetzeiten also. Auch hier ist eindeutig Mischnutzung angesagt, es rangiert von Wildnis bis Besiedlung, ist also schon was anderes als die US-Nationalparks.
Ich war nur in der westlichen Region, der Park schlängelt sich entlang des Flusses Gauja weit nach Osten. Hier ein paar Eindrücke:
Solche Höhlen sind typisch für das Gauja-Ufer.Weiß jemand, was das für ein Kraut oder Strauch ist?Es bedeckt den gesamten Waldboden.
Ganz in der Nähe ist die Gutmannshöhle, die größte der Höhlen im Sandstein entlang der Gauja, wobei diese hier ein Stück weg ist vom aktuellen Ufer.
Alles voller eingeritzter Graffiti……teilweise Jahrhunderte alt.Mittlerweile ist das Einritzen von Graffiti verboten und man scheint sich auch dran zu halten.
Ein bisschen weiter weg (10 Minuten mit dem Auto) findet man die Burg Treyden (Turaida). Diese wurde Anfang des 13. Jahrhunderts von Bischof Albert (dem aus Riga) angelegt und diente der Regierung und Verwaltung dieser Region östlich von Riga. Die Gebäude selbst stammen aber eher aus dem 16./17. Jahrhundert und sind zum Teil komplett restauriert. Vom Bergfried aus hat man eine schöne Aussicht, trotz Nebel und Dunst.
Arbeitszimmer des Bischofs, mit Fußbodenheizung.Anwesen des Verwalters, natürlich neueren Datums.
Nun hat Bischof Albrecht den Schwertbrüderorden zwar mitgegründet, sich aber alsbald mit ihm überworfen. Wenig überraschend hatten die Schwertbrüder dann auf der nächsten Anhöhe bei Siguldas eine Festung. Hier sind die Gemäuer durchaus aus dem 13. Jahrhundert, dafür ist es aber auch eine Ruine:
Wie man sieht waren die beiden Burgen nicht weit entfernt.
Danach bin ich wieder zurück nach Riga. Das Fahren ist recht anstrengend, vor allem in der Stadt gibt es eine Mischung aus viel Verkehr und heftigen Schlaglöchern, die wohl den harten Wintern geschuldet sind.
Heute war es zwar immer noch kalt, aber immerhin wieder sonnig. Vamos a la playa! Jurmala heißt (wenn ich das richtig verstanden habe) buchstäblich Strand und wurde aus den verschiedenen kleineren Orten direkt am Meer nahe bei Riga zusammengefasst. Während des Sowjetzeit war dies ein beliebtes Seebad, wo Krushchev und Consorten ihren Urlaub verbrachten – an die Cote d’Azur haben sie sich ja meist nicht getraut.
Logischerweise war noch nicht viel los, an Schwimmen im Meer ist ohne Neopren nicht zu denken, zumal es auch noch recht windig war.
Das ist noch nicht der Strand sondern der Fluss Lielupe, ca. 1 km entfernt.Aber jetzt.Das Bademeisterhäuschen ist fast so bunt wie die in Miami Beach.Selbst die Laternen beugen sich im Wind.In Lettland gibt es Unmengen von Kaffeautomaten.Parallel zum Strand verläuft die Flaniermeile……die aber um diese Jahres- und Tageszeit noch ziemlich leer war.Ganz schmuck ist sie auch……von sowjetischen Bausünden abgesehen.
Zweites Ziel war der Nationalpark Kemeri, der nur 20 Autominuten entfernt ist. Ähnlich wie Lahemaa eine Mischung aus Wald und Moor, zumindest der Teil, den ich gesehen habe.
Der Wald besteht aus Kiefern und das am Boden……müssten Heidelbeeren sein, wenn ich mich nicht täusche.Ich war mal wieder……total auf dem Holzweg.Kiefern im Moor werden nicht hoch.Die Seen sind wirklich so blau, das ist nicht die Bildbearbeitung.
Morgen geht es weiter nach Klaipeda (ehemals Memel), den Zugang zur kurischen Nehrung.
Heute gibt es nicht viel zu berichten. Ich habe Riga verlassen und bin mit dem Mietwagen weiter nach Klaipėda in Litauen gefahren, von wo aus ich morgen die kurische Nehrung heimsuchen will.
Klaipėda hat, wie alles im Baltikum, eine bewegte Geschichte. Die Stadt wurde unter dem Namen Memel von Kreuzrittern gegründet, wobei der Fluss Memel (ja, der aus der ersten Strophe des Deutschlandlieds) ein gutes Stück südlich ist. Anders als in Estland und Lettland haben sich die Einheimischen in Litauen aber deutlich besser organisiert und größere Eroberungen verhindert. Litauen (lange Zeit in königlicher Personalunion mit Polen) war im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit eine Großmacht, überstand allerdings die Teilungen Polens im 18. Jahrhundert nicht.
Das Memelland, und damit auch Klaipėda, wurde dann (im Falle von Klaipėda mit kurzem Umweg über Schweden) Teil von Preußen und blieb das auch bis zum Ende des 1. Weltkriegs. Dann übernahm kurzzeitig Frankreich(!) die Verwaltung; 1923 wurde Klaipėda dann vom in der Zwischenkriegszeit unabhängigen Lettland annektiert bis Hitler 1939 den Litauern Klaipėda wieder abpresste. Der Rest ist bekannt: Hitler-Stalin-Pakt, Zweiter Weltkrieg, Sowjetrepublik bis 1991.
Als Reiseziel ist Klaipėda jetzt nicht der Brüller, aber hier legen nun mal die Fähren in den litauischen Teil der kurischen Nehrung ab. Eine ganz nette Altstadt gibt es auch, die aber in zwei Stunden mit Einkehr locker zu erkunden. Immerhin war das Wetter herrlich!
Promenade entlang des Flusses Danė (die Memel ist viel weiter südlich).Denkmal für das vereinte Litauen, d.h. inklusive der ehemals preußischen Teile wie hier.Die Litauer haben aus dem Schulschiff ihrer Marine ein Restaurant gemacht. Schlau.Der Theaterplatz……inkl. Theater……und einer Statue des Ännchens von Tharau (warum auch immer). Es gibt ein paar ganz schmucke Fachwerkhäuser.Und die coolste Regenrinne, die ich je gesehen habe.Außerhalb der Altstadt gibt es auch heftige Bausünden.
Hier noch etwas Food Porn:
ScholleFrittierte Erbsenbällchen mit ForellensauceKohlsuppePasta mit SeafoodGelbe Erbsen mit Speck in einer Art Tostada. (Eigentlich hatte ich Hering bestellt, da ging wohl etwas „lost in translation“).
Heute nun also der Ausflug in die Kurische Nehrung. Das ist eine schmale Halbinsel, die im Süden nahe Kaliningrad/Königsberg mit dem Festland verbunden ist und im Norden bei Klaipeda endet. Rüber kommt man mit der Fähre (Fahrzeit 5 Minuten), eine Rundreise ganz nach ist derzeit wegen der russischen Grenze nicht praktikabel oder empfehlenswert. Also mit der Fähre rüber, mit dem Auto bis kurz vor die russische Grenze und dann wieder zurück.
Hier sieht man noch den Hafen von Klaipeda, wegen dem es wohl keine Brücke über die kurische Lagune gibt.Sog. Wolfskiefern, weil sie größer und krummer sind als die normalen Kiefern.Erster Blick in die grauen oder „toten“ Dünen.„Tot“ deswegen, weil diese ehemaligen Wanderdünen durch Bepflanzung gestoppt wurden.Grau wegen der Moose und Flechten, die einen Teil der Dünen bedecken.Je näher man der Lagune kommt, umso sandiger wird die Düne.Gedenktafeln für die Dörfer, die von der Düne „gefressen“ wurden vor der Bepflanzung.
Kurz vor der russischen Grenze befindet sich das Dorf Nidden, wo Anfang der 1930er Thomas Mann seine Sommer verbrachte.
Wie man sieht, war Mann ein guter Freund von J.R.R. Tolkien……und gestaltete seinen Giebel im Stile der Reiter von Rohan.
Aber auch sonst gibt es da viele nette Häuschen:
Ein Verkehrsschild, das wir auch in Deutschland brauchen.
Näher als Nidden werde ich in meinem Leben wohl nicht an Kaliningrad rankommen…
…also gab es Königsberger Klopse zum Mittagessen.
Nach einem halben Tag auf der Nehrung war dann die Rückfahrt zur Fähre und dann 330km Autofahrt nach Vilnius angesagt. Dabei war klar zu sehen: Litauen ist zwar der bevölkerungsreichste baltische Staat, aber dicht besiedelt ist es auch nicht. Hatte was vom Mittleren Westen in den USA…
Mittlerweile bin ich im letzten Quartier meiner Reise in Vilnius. Das ist tatsächlich die geräumigste Ferienwohnung, die ich auf der Reise hatte.
Wie auch die Altstädte von Tallinn und Riga gehört die Altstadt von Vilnius zum UNESCO-Weltkulturerbe. Auch hier haben die Wurzeln mit den Kreuzzügen des Mittelalters zu tun, allerdings haben weder die Schwertbrüder noch der deutsche Orden die Stadt gegründet. Vielmehr organisierten sich die Litauer unter Mindaugas gegen die Invasoren und konnten dadurch einen eigenen Staat, das Großherzogtum Litauen, etablieren, der im Spätmittelalter ziemlich mächtig wurde und große Teile von Polen und der Ukraine umfasste. Vilnius selbst wird 1323 erstmal urkundlich erwähnt. Anders als in den beiden anderen baltischen Staaten fasste die Reformation hier keinen Fuß und Litauen blieb katholisch, was sich in der großen Anzahl von katholischen Kirchen in der Stadt (oft Kirchen ehemaliger Klöster) widerspiegelt. Letztlich ist der dominante architektonische Stil in der Altstadt der Barock.
Stadttor von außen……und von innen.Hier rockt der Barock.
Die Universität von Vilnius ist auch ziemlich alt: 1579 von den Jesuiten gegründet. Die Gebäude bilden mehrere Innenhöfe, von denen der größte leider durch eine Baustelle verschandelt ist.
Blick vom 1. Stock der Glockenturms nach oben.Aussichten vom Glockenturm.
Überhaupt hat Vilnius Unmengen von Gassen, aber auch von Innenhöfen, in die man meisten auch reingehen kann, wobei immer mehr für die Öffentlichkeit geschlossen werden.
Die Judenstraße im alten jüdischen Viertel, das dem Holocaust zum Opfer fiel.Die Literatenmauer mit Erwähnung von Künstlern, die Litauen oder Vilnius in ihren Werken verarbeiteten.Ein besonders schmucker Innenhof.Der Innenhof meines eigenen Apartments.
Vilnius hat mit dem Stadtviertel Užupis auch eine Art von Christiania, also eine nicht ganz ernst gemeinte alternative „Republik“:
Das „Barlament“ der Republik.Ob diese Hollywoodschaukel wohl der Entspannung oder der Bestrafung dient?Der Tibetplatz. Das Bäumchen in der Mitte wurde vom Dalai Lama gepflanzt.
Es gibt aber auch andere Baustile in Vilnius:
Wie das völlig überkandidelt riesige klassizistische Rathaus……oder die Kathedrale.Die gotische Katharinenkirche……wurde während der Sowjetzeit als Lagerhaus verwendet.Der Gediminas-Turm, Teil der alten Wehranlagen.
Und insbesondere Konditoreien tendieren zu aufwändigen Verzierungen:
Langsam neigt sich der Urlaub dem Ende zu und mir geht so ein bisschen die Luft für intensives Sightseeing aus. Heute werde ich wohl nur mit dem Handy bewaffnet mal ein paar Ecken abklappern, die ich noch nicht gesehen habe.
Ich war nochmal auf eigene Faust in und um die Altstadt von Vilnius unterwegs. Quasi direkt vor meinem Haus hat man Teile der alten Wehranlagen rekonstruiert:
Kalte Rote Beete Suppe mit saurer Sahne haben alle baltischen Staaten gemeinsam. Ikea hat das auch erkannt.
Dann war ich nochmal in Užupis. Mein Vergleich zu Christiania war nicht so ganz gerechtfertigt: zwar ist es eine selbsterklärte autonome Republik, aber der Hippie- und Gegenkulturcharakter ist deutlich weniger ausgeprägt. Vor allem sieht es dort sehr viel normaler aus als in Christiania oder ähnliche Konstrukten in anderen Städten und am Fluss sehr lauschig.
Die Verfassung der Republik in X Sprachen.Dies ist die einzige Verfassung, die Katzen eine Pflicht vorschreibt, nämlich ihrem Besitzer in schweren Zeiten beizustehen (aber nur dann).Das soll wohl auch die Aufgabe dieser Katzenskulptur sein.Die Statue ist der Jesus der Backpacker: mit Rucksack, aber ohne sperriges Kreuz.
Auf der anderen Seite vom Fluss gibt es ein sehr ruhiges und topmodernes Viertel, das definitiv post-1990 entstanden sein muss. Dort befindet sich auch der Paupio-Markt, ein sehr ansprechender Food Court:
Nächster Stopp war das Großfürstliches Schloss Vilnius, wo bis 1795 die Großherzöge residierten. Nach der Dritten Teilung Polens gab es keinen Staat Litauen mehr und das Schloss wurde im 19. Jahrhundert zerstört. In den 2000ern haben sie es wieder aufgebaut und ein historisches Museum draus gemacht.
Der Neubau hat den Vorteil, dass alles intakt, schick und ziemlich barrierefrei ist.Der weiße Reiter auf rotem Grund war das Wappen des Großherzogtums.Links sieht man Rolltreppen nach unten, die nicht funktionierten. Deutschland lässt grüßen.In der Ausstellung sieht man u.a. viele Karten, die die historische Ausdehnung des Großherzogtums Litauen, hier im 14. Jahrhundert (gelb). Make Lithuania Great Again?Reste der ersten Burg aus dem 13. Jahrhundert.
Im Inneren haben sie unter anderem diverse historische Räumlichkeiten aus verschiedenen Jahrhunderten nachgestellt, mit passenden Möbeln, Kunst und Artefakten. Wie man sieht, ist es deutlich leerer als in echten historischen Schlössern, wie z.B. in Wien oder so.
Einen Aussichtsturm gibt es auch:
Nebenan ist die Kathedrale, die innen eher karg ausgestattet ist, und aus irgendwelche Gründen haben sie die Apostel asymmetrisch verteilt: 7 auf der einen und 5 auf der anderen Seite. Wem die Aufteilung mit separatem Glockenturm irgendwie italienisch vorkommt liegt nicht falsch: Die Herzogin von Milan, Bona Sforza, war im 16. Jahrhundert auch durch Heirat Großherzogin von Litauen und Königin von Polen und brachte einiges aus Italien mit (der klassizistische Look der Kathedrale kam später).
Danach war bin ich noch ein bisschen durch die Gassen geschlendert.
Dabei entdeckte ich den erstaunlich gut versteckten Präsidententpalast.Wandmalerei im jüdischen Viertel.Das sog. Glasser-Viertel.Einkehr im Innenhof einer ziemlich urigen Kneipe…Mit noch urigerem Snack: frittiertes Brot mit Käse-Mayo-Sauce, quasi wie Pommes. Eine örtliche Spezialität, von der ich nur ca. ein Drittel schaffte.
Heute habe ich noch eine Tour zum Thema Vilnius zu Sowjetzeiten gemacht – so etwas wird in vielen ehemaligen Ostblockstädten angeboten. Dabei sieht man nicht nur Brutalismus-Architektur und erfährt mehr darüber, wie die sowjetische Unterdrückung sich vor Ort auswirkte, sondern man kommt auch aus der Altstadt und den touristischen Gebieten raus.
Hier erst nochmal ein paar Ansichten, die nichts mit der Sowjetunion zu tun haben:
Hier nun aber die Highlights der Sowjet-Archtitektur:
Diese Osterinsel-Skulpturen sollen wohl die Einheit von Arbeitern, Bauern und Intellektuellen darstellen, sind aber wahrscheinlich absichtlich ambivalent.Der Sportpalast Vilnius steht seit über 20 Jahren leer. Allerdings ist er denkmalgeschützt und steht auf einem alten jüdischen Friedhof, drum weiß keiner so recht, was man damit machen soll.Die Oper……mit teils sehr bourgeoisen Statuen.Das heutige Radisson-Hotel war das erste Hochhaus der Stadt und wurde vom KGB betrieben, um ausländische Gäste zu überwachen.Die Nationalbibliothek.Das Parlament, das die Litauer 1991 erfolgreich gegen die rote Armee verteidigten.Das KGB-Hauptquartier, wo Folter an der Tagesordnung war – heute ein Museum.
Eine Erfahrung, die alle baltischen Staaten gemeinsam hatten, war die Deportation – bis zu 10% der Bevölkerung wurde zwischen 1944 und 1990 nach Sibirien verschleppt, hauptsächlich in der Stalinzeit.
Logischerweise ist man in den baltischen Staaten nicht auf sowjetische und russische Symbole erpicht. Die Marx und Lenin-Statuen sind schon seit Anfang der 1990er Jahre weg, aber so manches stand noch länger. Die Annexion der Krim 2014 und natürlich die Ukraine-Invasion 2022 führten aber noch zu weiteren Konsequenzen.
Auf diesem Brückensockel standen ursprünglich relativ neutrale sowjetische Statuen (Bauern, Arbeiter, etc.). Seit 2014 sind sie permanent in der Restauration.Dieses pro-ukrainische Wandgemälde entstand nach der Sprengung der Kachowka-Stauanlage vor knapp einem Jahr.Klare Botschaft der Stadtverwaltung nach Moskau.
In Litauen ist das Problem mit der russischsprachigen Bevölkerung weniger ausgeprägt als in Lettland oder Estland. Hier sind es nur 5% russischsprachige Litauer, die alle (anders als in Estland und Lettland) eine Staatsbürgerschaft erhielten. Inzwischen ist der Prozentsatz zwar gestiegen, aber hauptsächlich durch Flüchtlinge aus Belarus und der Ukraine, die kaum der Nähe zu Moskau verdächtig sind.
So, jetzt noch etwas Food Porn:
Die litauische Spezialität: Zeppelinas. Mit Fleisch oder Käse gefüllte Kartoffelklöße.Bagel mit Pulled Beef (die Pastrami war leider aus).Forshmak, jüdischer Heringssalat mit Apfel.Traditionelle litauische Fisch Kanapees aus Reis, mit Seetang umwickelt (harhar).
Mittlerweile ist Freitag, am Abend geht mein Flug zurück nach München. Glücklicherweise kann ich bis Nachmittags in der Ferienwohnung bleiben, so dass alles ganz entspannt ist.