Auf in den Norden von Honshu! Dank des Shikansen ist es durchaus möglich, hunderte von Kilometern als Tagesausflug zu machen. In meinem Fall entschied ich mich aber für einen Kurztrip mit einer Übernachtung, bei dem ich einige der Highlights meiner Japan-Reise im Herbst 2017 erneut besuchste. Damals sind wir nämlich ziemlich eingeregnet – die Ausläufer eines Taifuns haben uns erwischt, und so kenne ich diese Ziele bislang nur im strömenden Regen.

Hiraizumi
Erstes Ziel war Hiraizumi. Das war mal im japanischen Mittelalter (12. Jahrhundert) ein wichtiges kulturelles Zentrum, vor allem angesichts der Tatsache, dass es sich ziemlich weit nördlich befindet, in Tohoku. Das ist historisch gesehen meistens nicht die wichtigste Gegend von Japan, aber damals war es signifikant. Kyoto war weit weg, der in Hiraizumi herrschende Klan Ōshū-Fujiwara war reich und mächtig. Also entstanden hier besonders wichtige und prächtige buddhistische Tempel, von denen insbesondere zwei erhalten sind und zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören.
Heute ist Hiraizumi eher ein verschlafenes Nest nahe der größeren Stadt Ichinoseki, die einen Shinkansen-Halt hat. Nun war heute Neujahrstag. Da ist selbst in Tokio nicht allzu viel los, weil alle unter dem Kotatsu liegen und nicht viel tun.


Chuson-ji
Beim ersten (und wichtigeren) Tempel Chuson-ji bot sich dann aber ein anderes Bild. Hier war viel los, denn die Japaner machen Hatsumode, den ersten Schreinbesuch des Jahres (wenn sie es geschafft haben, dem Kotatsu zu entkommen). Eigentlich ist es ein Schreinbesuch, aber das wird nicht so eng gesehen, drum geht es auch in einem so berühmten Tempel wie dem Chuson-ji ordentlich zu.
Wie man sieht, ist der Chuson-ji (wie die allermeisten Tempel) auf einem Berg, und es ist Winter in Hiraizumi!










Nun ist die Tempelanlage vom Chuson-ji weitläufig und auch schön anzusehen, aber es sind tatsächlich nicht die Gebäude, die so relevant sind. Vielmehr hat der Tempel über 3,000 Kulturschätze, die in einem Museum aufbewahrt werden, in dem man leider nicht fotografieren darf. Darunter sind Buddha-Statuen aus dem 12. Jahrhundert in einer extrem hohen Kunstfertigkeit, auch was die Natürlichkeit der Darstellung angeht. Und es gibt Schriftrollen von Sutren, ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert: auf tiefblauem Papier, mit Goldfarbe geschrieben, teils mit kunstvollen Zeichnungen und Illuminationen, dass man mit den Ohren schlackert.

Die Rede ist vom Konjikidō, der Goldenen Halle. Das ist ein Mausoleum mit den Leichnamen der Fujiwara, ein ganzes kleines Gebäude, über und über mit Gold verziert und voller erlesener Buddha-Statuen. Aus dem Jahre 1124! Leider darf man das nicht fotografieren.


Am Hondō, dem Hauptgebäude des Tempels, stehen viele Leute für das erste Gebet des Jahres an.


Am Fuße des Chūson-ji kehrte ich dann zum Mittagessen ein.

Motsuji
Der zweite große Tempel von Hiraizumi, der Motsuji, ist mehr für die Schönheit seiner Anlage als für seine uralten Schätze berühmt. Hier muss ich sagen, dass da im Herbst, wenn die Blätter bunt werden, schon deutlich schöner aussieht. Aber dafür regnete es, anders als 2017, nicht!




Geibikei
Am Motsuji hielt ich mich nicht allzu lange auf, denn so konnte ich noch einen anderen Ort besuchen, den ich nur im strömenden Regen kenne: die Schlucht von Geibikei. Das liegt gut 20km weg und die Bahnverbindung wäre arg langsam und zeitaufwändig, drum habe ich kurzerhand ein Taxi genommen auf eine abenteuerliche Fahrt durchs winterliche Tohoku (auf der einen Höhe meinte der Taxifahrer, hier sei es sehr gefährlich wegen dem Eis…).
Geibikei ist ein völliges Nest (s. auch die Bilder vom Bahnhof weiter unten), aber hier gibt es eben eine sehr schöne Schlucht, die man mit Bootstouren entlang fahren kann. 365 Tage im Jahr geöffnet! Allerdings waren da quasi keine Japaner, dafür eine riesige Bustour mit Taiwanesen, mit denen ich dann die nächsten 90 Minuten auf dem Boden eines flachen Kahns hockend verbrachte. War aber nicht schlimm, weder die Taiwanesen noch das am Boden sitzen, denn ich konnte die Beine ausstrecken, und zwar unter einen im Boot angebrachten Kotatsu (beheizter Tisch), so dass es auch in Socken nicht kalt wurde.
Das Fotografieren vom Boot aus ist ein bisschen mühselig, weil die Boote eine Art Gewächshaus drüber haben. Man kann die Fenster zwar öffnen, aber dann muss man sich ziemlich verrenken, denn die Sitzrichtung ist eigentlich nach innen, so dass man eher die anderen Fahrgäste und die Aussicht aus der anderen Seite des Bootes sieht. Die Bilder sprechen dennoch für sich, denke ich. Auch hier gilt: im Herbst sieht das mit bunten Blättern besser aus, aber dafür hat es nicht geregnet!



Die Enten folgen den Booten sehr ausdauernd, denn es gibt an Bord Beutel mit Entenfutter für 50 Yen – und es sind nicht die Enten, die das bezahlen!
Nach ca. 40 Minuten Fahrt kommt man dann an der Anlegestelle am Wendepunkt an, wo die Gäste sich dann 20 Minuten umschauen können.










Danach fährt man in ca. 30 Minuten zurück, dabei stimmt der Bootsmann ein traditionelles japanisches Lied an. Mit viel Tremolo, so ähnlich wie die Lieder für den Reisanbau klingend.
Nun musste ich zurück nach Ichinoseki, den ich hatte eine Reservierung für den Shinkansen weiter nach Norden, gen Aomori.
Auf dem Weg zum Bahnhof sah ich einen alten Bekannten. Von 2017 erinnerte ich mich noch, dass ich auf dem Weg vom Bahnhof Geibikei zur Bootsanlegestelle einen Kakibaum gesehen habe. Das hat mich damals sehr beeindruckt, weil ich noch nie einen gesehen hatte – später wurde mir klar, dass die Dinger in bestimmten Gegenden wachsen wie Unkraut.

Der Bahnhof Geibikei ist so klein, wie einer nur sein kann. Es gibt kein Gate, keine Ticketkontrolle und nur ein Gleis.

Nun bekam ich erstmal einen großen Schreck, denn auf dem Fahrplan stand nichts von dem Zug, den meine App mir anzeigte. Das wäre schlecht gewesen, denn mit den regulären Zügen hätte ich meinen Shinkansen verpasst. Ich sah dann, dass der mir versprochene Zug laut App nur reservierte Plätze hätte – auch nicht gut, denn ich hatte keine Reservierung, das gibt es bei Lokalzügen normalerweise nicht.
Des Rätsels Lösung: es war der „Pokemon With You“ Sonderzug! Hätte ich niemals so gut planen können, ich war gar nicht sicher gewesen, ob ich wirklich nach Geibikei fahre!


Das quietschgelbe Ding besteht nur aus zwei Waggons: einen mit Sitzplätzen und einen mit einem Pokemon-Spielzimmer. Nun hatte ich Glück und die freundlichere Schaffnerin wies mir (zusammen mit einer Mitreisenden, die auch einen JR East Pass, aber auch keine Reservierung hatte) dennoch einen der wenigen freien Plätze zu. Puh!
Innen sieht es lustig aus:



Das Spielzimmer habe ich nur von außen fotografiert, nachdem der Zug in Ichinoseki angekommen war:



Auch am Bahnhof Ichinoseki machen sie einen großen Wirbel um den Pokemon-Zug:

Morgen geht es weiter mit tiefstem Winter in Aomori!