Zwar habe ich keinen Koffer mehr in Berlin, aber nach 30 Vorträgen im Monat Oktober vor der US-Wahl habe ich einen Urlaub dringend nötig, und da bietet sich das verlängerte Wochenende rund um Allerheiligen an. Praktischerweise ist Allerheiligen im säkularen Berlin kein Feiertag, also sollten Sehenswürdigkeiten und Geschäfte regulär geöffnet sein.
01.11.2024 – Topographie des Terrors und mehr
Bin bereits gestern angereist mit dem ICE. Leider wurde die versprochene 4 Stunden Verbindung abgesagt und ich saß daher 6 Stunden im Zug, aber immerhin kam der (fast) pünktlich an.
Untergekommen bin ich im Hotel Hyperion im Güntzelkiez am Prager Platz (wenn mich nicht alles täuscht gehört das zu Wilmersdorf), also im tiefsten Westberlin. Das ist ein sehr hochwertiges Hotel, wenn auch ziemlich in die Jahre gekommen.
Topographie des Terrors
Erstes Ziel heute war das Dokumentationszentrum Topographie des Terrors. Das ist das ehemalige Gelände der Gestapo, Sicherheitsdienst (quasi der Geheimdienst der SS) und Reichssicherheitshauptamt. Auch Himmler hatte hier seinen Sitz. Von den Gebäuden ist nichts mehr übrig, aber das Dokumentationszentrum nutzt diese klaffende Lücke an der Wilhelmsstraße sehr geschickt.
Nach soviel grimmigen Gebäuden und noch grimmigeren Geschichte noch ein kleines Wunder, nur wenige hundert Meter entfernt bei der U-Bahn-Station Mohrenstraße:
Potsdamer Platz
Da gönnte ich mir doch gleich Okonomiyaki (japanischer Kohlpfannkuchen mit Seafood) und eine Yuzu-Limonade.
Brandenburger Tor und Umgebung
Danach ging es weiter zum Brandenburger Tor.
Unweit davon ist das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Gegenüber vom Brandenburger Tor gibt es eine Gedenktafel für Ronald Reagan, der schon 1987 sagte: „Mr Gorbachev, open this gate! …Tear down this wall!“ Die deutsche Presse reagierte mit Unglauben und Spott, aber Reagan behielt letztlich recht. Erst habe ich die Gedenktafel gar nicht gefunden, bis mir klar wurde, dass sie in den Boden des Gehweges eingelassen ist.
02.11.2024 – Mauer und Stadtschloss
Ich habe als Teenager einmal die Berliner Mauer gesehen, als ich meine Schwester Doro besuchte, die damals in Berlin wohnte und in Kreuzberg wohnte. Aber es ist doch arg lange her und die Eindrücke eher vage, also war ich an zwei Stellen, wo der Mauer auf unterschiedliche Weise gedacht wird.
East Side Gallery
Die East Side Gallery ist ein recht langes erhaltenes Stück Mauer entlang der Spree, südlich des Zentrums. Wie der Name schon sagt, wird es als Galerie für Street Art verwendet.
Hier ein paar Eindrücke:
Nun gibt es ja Umfragen, in denen eine erschreckende Menge an Leuten (gerade in Schulen) glauben, die Amerikaner hätten die Mauer gebaut. Aber auch diese Geschichtsklitterung lässt sich ohne Weiteres toppen:
Übrigens wird nur die Ostseite als Galerie genutzt.
Hier noch weitere Eindrücke dieser Gegend:
Gedenkstätte Berliner Mauer
Die eigentlich Gedenkstätte zur Mauer, deutlich weiter nördlich, hat hingegen nur ein ganz kleines Stück echte Mauer. Dafür ist die ganze Gedenkstätte quasi im Niemandsland. Also in dem Teil, in dem die DDR-Führung ganze Wohnblocks hart abreißen lassen, damit ein besser kontrollierbarer Grenzstreifen entstand. Vorher seilten sich die Leute aus den Häusern direkt an der Zonengrenze einfach ab.
Aber eigentlich waren es zumindest hier zwei Mauern. Eine erste, die schon nicht überquert werden durfte, dann die Kontrollzone, und dann die eigentliche Mauer.
Essen und Trinken
Gestern gab es italienisch, heute Mittag dann Currywurst.
Museumsinsel, Stadtschloss, Humboldt Forum
Der Weg führte weiter zur Museumsinsel.
Und nun zum Schloss des Anstoßes – gegenüber vom Berliner Dom. Der Palast der Republik war hässlich, politisch unerwünscht und vor allem asbestverseucht, also wurde er 2006-08 abgerissen. Ab 2012 baute man das im Krieg zerstöre Berliner Stadtschloss nunmehr als sog. Humboldt-Forum wieder auf. Das ganze Projekt war höchst umstritten, denn warum sollte man ausgerechnet ein Schloss der Hohenzollern wieder aufbauen, quasi als symbolische Restaurierung des Kaiserreiches? Außerdem waren einige der Geldgeber recht fragwürdige Gestalten…
Das Gebäude wird als Kulturzentrum und Ausstellungsraum genutzt und beherbergt u.a. das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst – passend zum neuen Namen Humboldt Forum.
Meine Meinung zu der Sache: also wenn der Neubau einigermaßen so aussieht wie das alte Stadtschloss: warum hat man ausgerechnet dieses Schloss wieder aufgebaut? Was Schlösser angeht, ist das eher ein kleines und ziemlich langweiliges Exemplar. Da hätte man sich auch was Kreativeres einfallen lassen können.
Im Ethnologischen Museum war ich dann auch kurz drin. Das ist ein ganz klassisches völkerkundliches Museum. Natürlich mit moderner Museumsdidaktik, zeitgemäßer Beschriftung und viel Diskurs um das Übel des Kolonialismus. Aber an Ende des Tages ist es halt einfach ein ethnologisches Museum mit hübschen Artefakten aus (für uns) exotischen Gefilden.
An den Benin-Bronzen hat sich ja die ganze moderne Diskussion um Restitution von Raubkunst entfacht. Wenn ich es recht verstanden habe, sind die Benin-Bronzen dieses Museums bereits restituiert, aber man hat noch einige mehr oder permanente Leihgaben, die man ausstellt.
Nosferatu im Babylon
Abends war ich dann noch im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz und habe mit eine Aufführung von Nosferatu (1922) mit Live-Orchester angesehen. Das war alles sehr stimmungsvoll und der Film funktioniert auch heute noch erstaunlich gut, man merkt die Auswirkungen bis in die heutige Populärkultur hinein. Auch wenn damals die Vampire noch nicht glitzerten…
03.11.2024 – Samurai und Bundestag
Dritter und letzter Tag in Berlin, geplantes Highlight ist eine Führung durch den Bundestag, aber die ist erst nachmittags. Also zunächst ein kurzer Ausflug auf den Kurfürstendamm, der Sonntags vergleichsweise ausgestorben ist.
Samurai-Museum
Ich muss zugeben: der Trip nach Berlin ist schön und gut, aber eigentlich zieht es mich wieder nach Japan, wo ich über Weihnachten wieder sein werde. Aber nachdem in der East Side Gallery bereits ein japanischer Sektor beworben wurde und ich bereits ganz leckeres Okonomiyaki essen konnte, gibt es vielleicht noch mehr Japan in Berlin. Und siehe: das Samurai-Museum. Eine Privatsammlung und erst seit 2022 geöffnet. Entsprechend modern ist alles gehalten. Anstatt Beschriftungen gibt es interaktive Touchscreens, die zumindest derzeit auch alle funktionieren.
Ich muss sagen, ich war positiv überrascht. Der Eintritt ist mit knapp 15 Euro vertretbar, bizarrerweise ist das Ticket billiger, wenn man es direkt vor dem Museum online kauft, als zwei Meter weiter an der Kasse. Willkommen im 21. Jahrhundert. Vor allem aber hat das Museum die größte und beeindruckendste Sammlung von Samurai-Rüstungen und Helmen, die ich jemals gesehen habe. Auch in Japan ist mir bisher nichts Vergleichbares untergekommen. Die Schwertsammlung ist weniger umfangreich, dafür gibt es aber eine recht gelungene Videoinstallation zum Schwertschmieden.
Und obwohl das Museum sich durchaus auch an Kinder wendet, wird hier keine romantische Überhöhung der Samurai betrieben sondern ganz nüchtern die historische Entwicklung der japanischen Kriegerkaste dargestellt. Es gibt Artefakte aus der Kamakura, Muromachi, Sengoku und Edo Epoche. Auch die Wandlung der Bewaffnung (Samurai waren ja ursprünglich berittene Bogenschützen) wird sauber beschrieben und kein Katana-Kult betrieben. Durchaus empfehlenswert also.
Hier nun Highlights der wirklich beeindruckenden Sammlung an Rüstungen:
Auch die Helmsammlung ist wirklich beeindruckend.
Reichstagsgebäude
Der Deutsche Bundestag hat nunmehr seit 25 Jahren seinen Sitz im Reichstagsgebäude in Berlin. Führungen gibt es nur gegen Voranmeldung, dafür sind sie kostenlos. Nachdem ich kein Interesse an einer Plenarsitzung hatte habe ich mir für den Sonntag eine historische Führung gebucht. Die Führerin war ein wenig wirr, hat aber so weit ich das beurteilen kann, keinen Unsinn erzählt.
Außenansichten
Innenansichten
Gute Nacht, Deutschland
Ok, so apokalyptisch war das Ende der Führung dann doch nicht. Aber wir waren pünktlich zum Sonnenuntergang auf dem Dach mit der (vom Architekten gehassten) Kuppel. Die Bilder sprechen für sich, denke ich.
So, mittlerweile ist Montag und ich sitze im Zug zurück nach München, der zumindest bisher tatsächlich pünktlich ist und mich angeblich in vier Stunden nach Hause bringt. Aktuell 262 km/h zwischen Halle und Erfurt. Das ist schon fast Shinkansen-Feeling, wenn es doch nur immer so wäre. Damit schließe ich den Blog.